Didaktische Begründung für Lernaufgaben

Die Bildungsgänge im System der beruflichen Bildung und die Funktion der Lernaufgaben

Die Funktion der Fächer bzw. Fachwissenschaften in den Bildungsgängen und in den Lernaufgaben

Lernaufgaben und ihre Verpflichtung zur Förderung von Bildung

Die berufspragmatische und wissenschaftspropädeutische Funktion von Lernaufgaben

Lernaufgaben als Teil des schulischen Lernens

 

Die Bildungsgänge im System der beruflichen Bildung und die Funktion der Lernaufgaben

Für den nicht mit Schultermini vertrauten Leser ist der Begriff "Bildungsgang" in der Regel durch die
rechtlich-organisatorische Kennzeichnung einer Schullaufbahn belegt. Sie wird durch Eingangsvoraussetzungen und die Nennung
der Abschlußqualifikation eingegrenzt. Eine Reihe von Fächern in einem bestimmten Volumen und entsprechender Verbindlichkeit,
ausgelegt in einer Stundentafel, verweist auf die Inhalte des Bildungsgangs.

Bildungsgänge in der beruflichen Bildung, die berufliches und allgemeines Lernen integrieren sollen, kommen mit einer solchen
organisatorisch-rechtlichen Kennzeichnung nicht aus. Sie müssen anders als die Bildungsgänge des Gymnasiums ihre besondere
Qualität allererst legitimieren, während dem als Regel Etablierten die normative Kraft des Faktischen zu Hilfe kommt. Auch die
Bildungsgänge der beruflichen Bildung enthalten jeweils einen spezifischen Fächerkanon und Sequenzen von Fachkursen. Durch die
Integration aber soll eine reformierte, auf umfassende Handlungsfähigkeit verpflichtete Ausbildung erreicht werden, die sowohl
das Niveau der beruflichen Qualifikation und Kompetenz als auch die Fähigkeit zur Aufnahme wissenschaftlicher Studien
verbessert.

Deswegen kann es bei der Auslegung der Bildungsgänge nicht nur darum gehen, nebeneinander und nacheinander zu ordnen, was sich
mit der Tradition der gymnasialen Oberstufe an Inhalten für die Fächer aufdrängt. Würde so verfahren, käme es nicht zu
integrierten, sondern nur zu additiven Bildungsgängen. Das System der beruflichen Bildung muß dagegen anschaulich machen, wie
sie eine neue Qualität von Bildung und Lernen erreicht.

Von einem integrierten Bildungsgang ist sinnvoll nur zu sprechen, wenn er trotz der Vielfalt seiner Inhalte und Fächer eine
Einheit darstellt. Erst die Durchdringung unterschiedlicher Fachinhalte an übergreifenden und gemeinsamen Problemstellungen
führt zur Bildung. Im System der beruflichen Bildung stellt der zukünftige Beruf die übergreifende Problemstellung dar, zu der
die verschiedenen Fächer auf spezifische Weise beitragen und dadurch ihre Leistungsfähigkeit verdeutlichen. Diese Beiträge
dürfen nicht isoliert, sondern müssen in dem von der übergreifenden Problemstellung gestifteten Zusammenhang bewertet werden.
Die Schule muß daher für integrierende Lernprozesse Entfaltungsräume bereitstellen.

Von einem integrierten Bildungsgang ist sodann erst zu sprechen, wenn er als Prozeß der Aneignung von Kompetenz und
Qualifikation verstanden und entsprechend ausgelegt wird. Bildung ist nicht einfach abzuholen als Produkt. Sie läßt sich nicht
schlicht behaupten, indem man in Fachlehrpläne schreibt, was man sich an Wissen wünscht. Bildung ist die Leistung der
Lernenden in der schrittweisen Aneignung der objektiven Welt. Sie entsteht erst, wenn die Schüler das von der Sache her zu
Lernende sinnvoll mit dem verknüpfen, was sie als ihr fachliches Interesse vorantreibt. Ohne die Entfaltung von Subjektivität
bleibt schulisches Lernen bloße Anpassung. Lernen als Anpassung mag zwar kurzfristige Erfolge nach sich ziehen, es schließt
aber eine reicher mögliche Kompetenzentfaltung in der Regel aus. Diese ist wiederum überall dort festzustellen, wo ein
Lernender die Erfahrung macht, daß er mit seinen persönlichen Motiven, auch mit seinen Schwierigkeiten, ernst genommen wird.

Für den Unterricht folgt daraus, daß ein pädagogisch strukturierter integrierter Bildungsgang erst dann entsteht, wenn er mehr
als ein Curriculum für die Schüler ist, wenn er nämlich zugleich dem Curriculum der Schüler folgt. Dagegen ist die Systematik
der Fächer nur ein Kriterium bei der Auslegung der Bildungsinhalte. Hinzukommen muß die Überlegung, wie die für alle
beruflichen Bildungsgänge gleichermaßen definierten Phasen (der Orientierung, der Qualifizierung und des Übergangs in Beruf
und Studium) jenseits der Systematiken der Einzelfächer bildungsgangbezogen konkretisiert werden. In manchen Bildungsgängen
können die Phasen eindeutig aufgrund thematischer Interessen differenziert werden; in anderen Bildungsgängen führt das Bemühen
um die Entwicklung von Schülerbildungsgängen zu einem Spiralcurriculum, welches entsprechend den Erfahrungen der Schüler die
Komplexität der Themen und Begriffe entfaltet. Das in diesem Papier entwickelte Konzept der Lernaufgaben versucht, die damit
formulierte Aufgabe der Bildungsgangentwicklung dadurch aufzugreifen, daß den Schülern zu ausgewählten Zeitpunkten
fächerübergreifende Aufgaben (= Lernaufgaben) gestellt werden. Diese fordern entsprechend dem erreichten Kompetenzniveau die
Schüler auf, die bildende Einheit in der Vielfalt ihrer fachlichen Lernerfahrungen herzustellen und zu überprüfen.

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Die Funktion der Fächer bzw. Fachwissenschaften in den Bildungsgängen und in den Lernaufgaben

Unterricht findet traditionell als Fachunterricht statt. Was in der Wirklichkeit als Zusammenhang von Aspekten erfahren wird,
trennt der schulische Unterricht arbeitsteilig in Einzelaspekte auf. Dies geschieht zum einen durch Fachbezeichnungen, die der
Wissenschaftssystematik entliehen sind, zum anderen werden berufliche Tätigkeitsmerkmale zu Ausgangspunkten für besondere
Fachbezeichnungen (Rechnungswesen, Medienerziehung etc.). Fachwissenschaftlich oder berufspragmatisch isoliertes,
lehrgangmäßiges Lernen erzeugt überall dort Lernhemmungen, wo die Lernenden von der Schule Antworten auf eigene Fragen
erwarten und diese sich nicht gleichsam den fachlichen Schubladen entnehmen lassen. Manche Pädagogen haben versucht, der
Aufspaltung einer komplexen, ganzheitlich begriffenen Wirklichkeit durch Schulfächer zu begegnen, indem sie
problemorientierten Gesamtunterricht propagierten. In der beruflichen Bildung ergäbe sich mit dem Beruf ein Problemfeld, von
dem aus die Überwindung des Fachunterrichts möglich wäre. Der Unterricht würde die Aufgaben des Berufs zum Thema machen und
jeweils nach fachwissenschaftlichen Befunden und praktischen Regeln fragen, die zur Lösung von Problemen hilfreich sein
könnten. Ein solcher problementfalteter Unterricht würde zwar zu einer sinnvollen Relevanzprüfung des Schulwissens führen,
zugleich stünde er aber in der Gefahr, zu einer platten instrumentellen Ausrichtung auf das Problemlösungshandeln der Praxis
zu verkommen. Gelernt würde, was unmittelbar nützlich ist, mehr wohl nicht. Schon die Erweiterung einer instrumentellen
technischen Lösung um die politische Problematisierung der Folgen technischer Konzepte könnte allzuleicht abgewehrt werden.
Fachliche Lehrgänge haben deswegen auch ihr (begrenztes) Eigenrecht. In ihnen wird es möglich, den Horizont der Schüler zu
erweitern, ihnen Einsichten zu vermitteln, die nicht unmittelbar als nützlich zum Aufbau von Kompetenz erfahren werden müssen,
die aber wichtig werden, weil Schüler ansonsten nur sähen, was sie im Prinzip schon wissen.

Fachlehrgänge haben eine produktive Funktion, wo sie die Schüler befähigen, unterschiedliche Perspektiven zur Sache zu
gewinnen: theoretische wie praktische, kulturelle wie technisch-zivilisatorische, ökonomische wie ästhetische usw. Diese
Perspektiven dürfen der Sache, um die es im Bildung geht, nicht zwanghaft übergestülpt werden. Sie müssen als Dimensionen der
Sache einsichtig gemacht werden, um die es auch den Schülern geht. Es empfiehlt sich, sie in ihrem Eigenwert und ihrer eigenen
Logik vorzustellen. Dafür ist der Fachlehrgang wichtig.

Lernaufgaben vermitteln zwischen dem einzelfachlichen Lernen und der Idee des Gesamtunterrichts. An besonderen Stellen im
Bildungsgang wird das Lernen zusammengeführt und anschließend, nun allerdings auf der Basis der in den Lernaufgaben gemachten
Erfahrungen, wieder in die verschiedenen Fächer aufgetrennt. Berufliche Handlungssituationen, an denen sich die Lernaufgaben
konkretisieren, sind offener als Probleme der Fächer, gleichwohl sind sie nur zu bewältigen, wenn die Fächer auf sie
vorbereitet haben.

Die Schüler können ihre Lernaufgaben nur lösen, wenn sie

- fachliches Wissen einzubringen vermögen,
- das in verschiedenen Fächern Gelernte sinnvoll verknüpfen können,
- Wissen in Problemlösungsstrategien umsetzen können,
- Wissen konstruktiv und kreativ nutzen, um Handlungsspielräume zu entdecken und diese auch im Sinne von alternativen
Problemlösungsstrategien nutzen,
- zwischen ihren eigenen Orientierungen zum beruflichen Handeln und den objektiven Anforderungen an sachlich richtige und
gesellschaftlich konsensfähige Lösungen kompromiß- und konfliktfähig vermitteln können.

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Lernaufgaben und ihre Verpflichtung zur Förderung von Bildung

In einer schon klassisch zu nennenden Formulierung wird Bildung verstanden als Vermittlung zwischen den Ansprüchen der
objektiven Welt und den Ansprüchen der Schüler auf ihr Selbstsein. Eine solche Vermittlung wollen auch die Lernaufgaben
betreiben. Das bedeutet zur Seite der objektiven Anforderungen der beruflichen Bildungsgänge, daß die Lernaufgaben in der
Rahmensituation (Szenarium) als ernsthaft angesehen werden, also von authentischen Handlungs- und Entscheidungssituationen der
beruflichen Praxis ausgehen. Dabei geht es um die im Beruf anerkannten Gütestandards, die Problemlösungsmuster und das
Selbstverständnis der im Beruf Tätigen, aber auch um die Spannungen, die aus einer arbeitsteilig organisierten, hierarchisch
geordneten sowie dem Produktivitätswachstum und dem Gewinninteresse unterstellten wirtschaftlichen Ordnung erwachsen. Zur
objektiven Kultur gehört heute aber auch das allgemeine Interesse der Gesellschaft an sozial- und naturverträglichen
beruflichen Handlungsformen. Dadurch sind tendenziell Konflikte angelegt, die den Schülern nicht vorenthalten werden dürfen,
denen sie sich vielmehr in dem Maß zu stellen haben, indem sie an Kompetenz und Einsicht gewinnen.

Wenn Lernaufgaben allerdings so konstruiert werden, daß zu ihnen lediglich die perspektivisch entfalteten oder normativ
restringierten Musterlösungen passen, die die Konstrukteure als gewünschtes Ergebnis entworfen haben, verfahren sie ihren
Sinn. Bildung an Lernaufgaben setzt die Möglichkeit voraus, daß die Lernenden an ihnen ihre berufliche Identität als das
Verfolgen ihrer Normen und Handlungsentwürfe erleben. Schüler bauen während ihres Bildungsgangs nicht nur Wissen und
Einsichten auf, sie organisieren dieses Lernen auch auf der Grundlage ihrer sich schrittweise entwickelnden Praxiskonzepte.
Diese machen es den Schülern möglich,

- sich im Rahmen komplexer beruflicher Handlungsfelder zu orientieren,
- eine eigene Norm zur Bewertung des Erfahrenen aufzubauen,
- sich Probleme und Anforderungen zu erklären und schließlich
- das eigene berufliche Handeln zu strukturieren.

Lernaufgaben fördern die Bildungsgangentwicklung der Schüler auch dadurch, daß sie diese vor Entscheidungsalternativen
stellen, die es ihnen erlauben, mit den eigenen Praxiskonzepten Erfahrungen zu sammeln. Das darf nicht so mißverstanden
werden, als ob Lernaufgaben die Schüler grundsätzlich in ihren Lösungen bestätigen sollten. Es geht nicht um die kritiklose
Pflege von Praxiskonzepten jenseits der Frage ihrer Angemessenheit. Lernaufgaben erlauben den Schülern, ihre Praxiskonzepte
einzubringen. Gleichwohl konfrontieren sie diese auch mit den objektiven Problemsituationen und Standards der Praxis, also mit
Aufgaben, an denen sich die Praxiskonzepte erst noch zu bewähren haben. Lernaufgaben, die die Schüler in ihrem Blickwinkel,
etwa in ihrer technokratischen Beschränkung, bloß bestätigen, oder Lernaufgaben, die lediglich die Wolkenkuckucksheime der
Schüler aufdecken und vorführen, sind kontraproduktiv, weil nicht bildungswirksam.

In den Lernaufgaben steht das erreichte Maß an Kompetenz für Lehrer und Schüler auf dem Prüfstand. Zugleich ist die
Lernaufgabe die Gelegenheit, neue Erfahrungen zu machen und Einsichten zu gewinnen. Aus beidem folgt eine Perspektive für das
weitere Lernen. Wird eine Lernaufgabe zum Entwicklungsimpuls für die Schüler, ist sie erfolgreich. Wird sie hingegen als
Hausaufgabe empfunden, muß sie scheitern. Die Identifikation des Schülers mit der Lernaufgabe (und sei es probehalber) ist die
Voraussetzung für die volle Entfaltung der mit ihr angestrebten Bildungsgmöglichkeiten. Schüler, die sich der Lernaufgabe
verweigern, distanzieren sich vom Sinn des integrierten Bildungsgangs, sie lassen Chancen ihrer eigenen Kompetenzentwicklung
ungenutzt. Denn eine Distanzierung von der Bildungsmöglichkeit im Medium des Berufs macht nur Sinn als Veränderung, gar als
Zurückweisung von Zumutungen, denen man sich zunächst einmal gestellt hat. Abstrakte Negation ist nicht lehrreich, sie
verhindert Bildung.

Lernaufgaben zielen nicht auf die vorschnelle Anpassung an das, was in den Betrieben vielfach der Fall ist, etwa die
Einschränkung von Handlungsspielräumen durch ein strenges Hierarchiedenken, durch machtförmig bestimmte Formen der
Arbeitsteilung usf. Gerade wenn Lernaufgaben in Bildungsgängen durchgeführt werden, in denen Schüler betriebliche Praxis
kontinuierlich erfahren, ist eine unkritische Übernahme der in Betrieben beobachteten Handlungsmuster eine Gefahr. Umfassende
Handlungsfähigkeit muß darüber hinausgehen. Nicht allein gängige, zuweilen schlechte Praxis darf zum Maßstab erhoben werden.
Alternative, stärker von Kreativität und offenen Handlungsspielräumen sowie von Verantwortung gekennzeichnete Lösungen müssen
als Möglichkeit in den Lernaufgaben ergriffen werden können. Lernaufgaben enthalten gerade wegen ihres schulischen Charakters
die Chance, durch Probehandeln komplexere Problemlösungsmuster durchzuspielen und ernst zu nehmen, als sie in manchen
betrieblichen Handlungssituationen anzutreffen sind. Dabei geht es nicht um ferne Utopien oder abstrakte Gedankenexperimente
und Gegenkonzepte beruflichen Handelns, sondern in der Regel um an anderen Orten bereits ganz oder in Teilen verwirklichte
Konzepte. Mit dieser Offenheit relativiert die Lernaufgabe produktiv die eingeschränkten betrieblichen Erfahrungen von
Schülern.

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Die berufspragmatische und wissenschaftspropädeutische Funktion von Lernaufgaben

In dem Maße, in dem Lernaufgaben eine umfassende berufliche Handlungsorientierung eröffnen, sind sie nicht nur
berufspragmatische Anlässe zur Qualifizierung von Schülern. Überall nämlich, wo Wissen nicht nur mechanisch für
standardisierte Handlungsmuster genutzt wird, ist mit der Suche nach geeigneten Problemlösungen und deren Bewertung die
Urteilsfähigkeit und damit auch die Kritikfähigkeit der Schüler gefordert. Lernaufgaben konkretisieren sich an spezialisierten
beruflichen Handlungs- und Entscheidungsanlässen. Sie sind damit gleichzeitig Experimente, an denen die Reichweite
wissenschaftsorientierter Fähigkeiten überprüft werden kann.

Wissenschaftspropädeutik richtet sich auf die Einübung wissenschaftlicher Arbeits- und Verfahrensweisen, sie richtet sich
zugleich gegen eine didaktische Verfrühung und den Wahn der Vollständigkeit, der sich etwa darin konkretisiert, in den
Fachlehrgängen Wissenschaft en miniature zu entfalten. Die Vermittlung von Wissen, das erst im Studium unter
wissenschaftlichen Ansprüchen für wissenschaftliches Arbeiten genutzt werden soll, ist noch keine Wissenschaftspropädeutik.
Ohne den falschen Anspruch, schon wissenschaftliches Arbeiten verwirklichen zu wollen, entfaltet der Kollegschulunterricht in
den Lernaufgaben die Prinzipien der Wissenschaftspropädeutik in folgender Weise:

- Wissenschaftliches Arbeiten ist zunächst disziplinäres Arbeiten. Lernaufgaben fordern den Schüler auf, gezielt nach den
Beiträgen der Fachwissenschaften zur Lösung der gestellten Aufgabe zu fragen: nach dem Fachwissen, nach den Methoden der
Problemstrukturierung, nach den Attitüden, die den Wissenschaften korrespondieren (die Suche nach neuer Erkenntnis, das
Streben nach Exaktheit, die Fähigkeit zur Problematisierung).
- Wissenschaftliches Arbeiten wird fruchtbar erst durch die Öffnung der Disziplinarität zur Interdisziplinarität.
Lernaufgaben verlangen als komplexe authentische Problemsituationen von Schülern zugleich die Überschreitung des
Fachwissens, die Verhinderung von Einseitigkeit und statt dessen die Integration von Einsichten und Erfahrungen aus
verschiedenen Disziplinen, denn nur dann kommt es zu gehaltvollen Lösungen der Aufgabe.
- Wissenschaftliches Arbeiten weiß um die Historizität der eigenen Erkenntnisse, Problemlösungsmuster, Interessen usf.
Entsprechend dem gesellschaftlichen Wandel sind auch die Aufgaben beruflicher Praxis der Veränderung unterworfen.
Technische Neuerungen lösen alte Techniken ab. Es lassen sich dabei Entwicklungslinien identifizieren, die
fortschrittliche Möglichkeiten enthalten, zugleich aber auch solche, die Gefahrenmomente für die Gesellschaft zum
Ausdruck bringen. Lernaufgaben sind gut konstruiert, wenn sie konkret die Schüler vor die Einsicht in die Gestaltung von
historisch sich wandelnden Arbeitsformen und -inhalten stellen.
- Wissenschaftliches Arbeiten ist in seinem Erkenntnispotential voll erst ausgeschöpft, wenn es seine Funktion und Wirkung
selbstkritisch zum Gegenstand macht. Als Ideologiekritik stellt sich Wissenschaft der kritischen Rückfrage, ob sie dem
emanzipatorischen Erkenntnisinteresse der Menschen und der Gesellschaft dient. Lernaufgaben motivieren die Schüler,
entsprechend propädeutisch ihre Kritikfähigkeit einzuüben, indem sie nicht nur die immanenten technischen Problemlösungen
thematisieren, sondern diese in ihren sozialen, gesellschaftlichen und kommunikativen Bezügen in der Form von
Interessenskonflikten und der Diskussion von Folgewirkungen spezialisierter beruflicher Praxen zum Thema machen.

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Lernaufgaben als Teil des schulischen Lernens

Lernaufgaben können nur dann ihre Funktion erfüllen, wenn ihr Thema nicht in der Zeit erschöpft wird, die den Schülern zu
ihrer Bearbeitung gegeben wird. Lernaufgaben müssen vorbereitet werden, und sie produzieren mit den Problemlösungen der
Schüler vorzüglich Stoff für die intensive Reflexion gemachter, aber auch abgewehrter Erfahrungen. Je stärker sich in den
Schulen der Gedanken der Lernaufgaben ausbreiten wird, desto selbstverständlicher können sie mit dem Fachunterricht eine
funktional differenzierte Einheit eingehen. Mit den Lernaufgaben entsteht ein didaktisches Regulativ: Die fachliche Bildung
richtet sich auf den Bezugspunkt der beruflichen Praxis aus, wie diese in den Aufgaben gespiegelt wird. Die Fächer bekommen
mit den Lernaufgaben Bezugspunkte, an denen sie ihre Wirksamkeit erfahren können. Das gilt sowohl für die Befähigung der
Schüler bei der Problembearbeitung als auch kritisch überprüfend hinsichtlich der Untersuchung von Lerndefiziten. Diese werden
in den Lernaufgaben verbindlicher und deutlicher als in fachspezifischen Klausuren. Lernaufgaben fördern die Selbständigkeit
und Selbstverantwortung der Lernenden. Sie führen sie tendenziell von der Rolle eines passiv Wissen Aufnehmenden und
Reproduzierenden weg und zur aktiven, für das eigenen Lernen Verantwortung Übernehmenden hin. Lernaufgaben machen Schüler auch
für die Inhalte des anschließenden Fachunterrichts aufgeschlossener, fordernder, damit aber auch kooperativer.

Formen von handlungsorientiertem und die Selbstverantwortung der Schüler förderndem Lernen gibt es auch innerhalb des
Fachunterrichts. In projektorientiertem Lernen etwa wird die Systematik eines oder mehrerer Fächer über einen begrenzten
Zeitabschnitt auf die Erarbeitung eines Produkts (z. B. eines Netzgeräts) bezogen. Im Lernbüro werden Anforderungen und
Möglichkeiten der Neuen Informationstechnologien erfahrbar. Facharbeiten, bezogen auf eines der beiden Leitfächer eines
Bildungsgangs, fordern eine besonderes selbständige, den Standards des Leitfachs angemessene Bearbeitung einer Aufgabe. Diese
und ähnliche Formen des fachlichen Unterrichts werden durch Lernaufgaben nicht infrage gestellt. Im Gegenteil, sie erleichtern
die Realisation von Lernaufgaben; Lernaufgaben können direkt auf solche Lernerfahrungen Bezug nehmen und diese Erfahrungen
vertiefen und erweitern.

Das alles wird nicht konfliktfrei ablaufen können, weder zur Seite fachwissenschaftlichen Lernens noch zu derjenigen der
Übernahme der Rollen, die die Lernaufgaben den Schülern abverlangen. Es wird sich dabei in der Regel um produktive Konflikte
handeln. Schüler werden ggf. mit dem Hinweis auf die Ergebnisse der Lernaufgaben andere Schwerpunkte im Fachunterricht
einklagen. Die Unterrichtsgegenstände geraten auf diese Weise unter einen produktiven Rechtfertigungszwang. Manchen Schülern
wird die Identifikation mit den Lernaufgaben Schwierigkeiten gerade wegen ihres Ernstcharakters machen. In solchen fällen ist
darauf zu achten, daß die Lernenden von den Aufgaben nicht überwältigt werden, sondern in ihnen Freiräume entdecken, die zur
produktiven Distanzierung von vorgefundenen fremdbestimmten Handlungsmustern anregen.


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